Neue Horizonte für Holzressourcen

TLH in Göppingen forscht am verstärkten Einsatz von Buchenholzfasern in der Textilindustrie

Das Technikum Laubholz (TLH) in Göppingen präsentiert mit „Woodbased Textiles“ (WDBSD TX) ein patentiertes neues Verfahren, das laut den Verantwortlichen, Tobias Wolfinger, wissenschaftlicher Vorstand des TLH, und Dr. Rolf Moors, Abteilungsleiter des Forschungsbereichs Faserbasierte Biopolymerwerkstoffe des TLH, die Holzverwertung in der Textilindustrie revolutionieren kann. Die Technologie zur Herstellung von Zellstoff ist bekannt, doch die kreative Anwendung von Buchenholz als Ressource in der Textilindustrie eröffnet mit diesem Ansatz neue Perspektiven. Der hohe Zelluloseanteil macht Buchenholz besonders attraktiv für die Herstellung von Textilfasern.

Abstandswebmaschine Foto: DITF

Als einen entscheidenden Fortschritt des neuen Verfahrens benennen Wolfinger und Moors den Einsatz ionischer Flüssigkeiten als Lösungsmittel. Bei Temperaturen unter 100 °C löst sich damit die Zellulose auf und bildet die „Spinnmasse“, die durch Düsen gefördert wird. Die Konzeption dieser Düsen ist ein Spezialgebiet der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung (DITF). Hauchdünne Filamente fließen durch die Spinndüsen in ein wässriges Fällbad, koagulieren und werden in weiteren Schritten gewaschen, getrocknet und aufgewickelt. Das Gewicht der Filamente wird üblicherweise in Gramm pro zehntausend Metern (= 1 dtex/Dezitex) angegeben und beträgt hier etwa 2 g/10 000 m bzw. 2 dtex. Für Bekleidungstextilien werden bis zu 100 Filamente zu Fäden verwebt, während für Hochleistungstextilien Rovings aus bis zu 2 000 Filamenten hergestellt werden.

Ein weiterer besonderer Aspekt im Produktionsprozess ist die individuelle Anpassung der Eigenschaften der Hochleistungsfaser. Wolfinger: „Von technischen Textilien für die Mobilitätsbranche bis hin zu medizinischen Anwendungen und Bekleidungsprodukten bietet diese Faser zahlreiche Einsatzmöglichkeiten mit außergewöhnlichen Leistungseigenschaften.“

Durch das patentierte Verfahren wird eine vereinfachte Prozessführung ermöglicht, die ohne aufwändige Entsorgungsprozesse auskommt. Sowohl die ionische Flüssigkeit als auch das Wasser werden dabei wiederverwendet. In Verbindung mit niedrigen Verarbeitungstemperaturen entsteht so ein umweltfreundlicher Prozess mit minimalem ökologischem Fußabdruck. „Es ist inspirierend und erfüllend zu sehen, welch transformative Wirkung diese nachhaltige Technologie in verschiedenen Branchen entfalten wird“, meint Moors.

Von der Idee zur Produktion

Das TLH hat eine Pilotanlage für die Produktion von bis zu 50 t des Textilfasermaterials pro Jahr geschaffen. Diese Kapazität ermöglicht die Herstellung von etwa 500 Mio. km Filamenten jährlich – das entspricht ungefähr dem Dreifachen der Entfernung von der Erde zur Sonne. Somit ist die neue Textilfaser nach Aussage der Verantwortlichen nicht mehr nur eine vielversprechende Vision für potenzielle Anwender, sondern steht bereits heute für Produktionsversuche zur Verfügung und ist eine nahende industrielle Realität.

Die Experten des TLH arbeiten an der Optimierung des Verfahrens und der Herstellung vielseitiger Fasern, um weltweit das Interesse von Zellstoffherstellern und Faserverarbeitern zu wecken. Das übergeordnete Ziel des TLH besteht darin, die Lücke zwischen Grundlagenforschung und industriereifer Entwicklung zu schließen sowie bisher fehlende Innovationen im Bereich nachwachsender Rohstoffe voranzutreiben.

Ein weiteres Forschungsprojekt im Bereich der faserbasierten Biopolymerwerkstoffe, das sich auf die Herstellung von Carbonfasern aus Laubholz konzentriert, markiert den nächsten Schritt in der Entwicklung von Fasern und unterstreicht das Bestreben des Technikums, innovative Materialien für eine nachhaltige Zukunft zu schaffen. Die erworbenen Patente für die Produktion von Carbonfasern aus Laubholz befinden sich bereits in der Umsetzung für den Industriemaßstab, um in naher Zukunft marktreif zu sein.

Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung im Bereich der Biotechnologischen Konversion am TLH liegt auf der Hemizellulose. Dabei geht es darum, sie effektiv in biologisch abbaubare Tenside umzuwandeln, die z. B. als Öl-Wasser-Emulgatoren dienen. Gleichzeitig wird in einem weiteren Forschungsbereich an der Entwicklung eines schwefelfreien Holzaufschlussverfahrens gearbeitet, um die vollständige Verarbeitung von Lignin zu ermöglichen. Dies eröffnet Perspektiven für die Herstellung vieler Aromen, Duftstoffe und Aerogele. Die Fortschritte in diesen Bereichen tragen dazu bei, nachhaltige und biologisch abbaubare Materialien für diverse industrielle Anwendungen bereitzustellen.

Die Entwicklungen am TLH unterstreichen dessen zukunftsweisende Rolle bei der Schaffung nachhaltiger und hochwertiger Produkte aus dem vielseitigen Rohstoff Holz. Der Einblick in die Welt der nachhaltigen Faserherstellung verdeutlicht nicht nur technologische Innovation, sondern auch die Herausforderungen, denen sich die Branche gegenübersieht. Mit dem Fokus auf Laubholz als Ressource könnte die Textilindustrie einen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit, Effizienz und Kreislaufwirtschaft machen.

Konferenz der grünen Zukunft

Das TLH veranstaltet jährlich eine Konferenz, die „Laubholztage“, die sich als bedeutendes Forum für Innovationen und Wissenstransfer etabliert haben. Im letzten Jahr nahmen etwa 300 Interessierte teil. Auch für dieses Jahr verspricht die Tagung am 20. und 21. Juni in Göppingen Einblicke in die Welt nachhaltiger Technologien. Dieses Jahr liegt der Fokus besonders auf der Faserentwicklung und textilen Innovationen.
Michael Paulitsch, Warendorf

Anmeldung zu den „Laubholztagen“ am 20. und 21. Juni in Göppingen unter technikumlaubholz.de .

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