»Reallabor« für energetische, serielle Sanierungen
In Mönchengladbach modernisieren fünf Unternehmen mit unterschiedlichen Konzepten baugleiche Mehrfamilienhäuser
Der Besuch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Rahmen seiner „Sommerreise“ am 12. Juli zog die Aufmerksamkeit auf ein in Mönchengladbach laufendes Pilotprojekt des Wohnungsunternehmens LEG. Hier werden 19 Gebäude mit insgesamt 76 Wohnungen von verschiedenen Unternehmen mit je eigenen Ansätzen mit vorgefertigten Bauteilen in Holzrahmenbauweise energetisch saniert. Im Projekt soll im Kleinen erprobt werden, was in großem Maßstab funktionieren soll – die klima- und sozialverträgliche Sanierung des Gebäudebestandes.
Die LEG Immobilien SE, Düsseldorf, hat 167 000 Wohnungen in acht Bundesländern im Bestand und ist damit eines der bundesweit größten Wohnungsunternehmen. Im Mönchengladbacher Stadtteil Hardt lässt die LEG seit August vorigen Jahres 19 baugleiche Mehrfamilienhäuser aus den 1950er-Jahren von den fünf Baupartnern B&O, Ecoworks, Fischbach, Renowate und Saint-Gobain Pre-Formance nach unterschiedlichen Ansätzen seriell sanieren, wobei generell digitalisierte Prozesse mit industrieller Vorfertigung und standardisierten Prozessen kombiniert werden. Große Wohnungsbestände sollen so mit weniger Fachkräften in kürzerer Zeit saniert werden. Allein das Quartier im Stadtteil Hardt umfasst 233 Wohneinheiten.
Die LEG investiert rund 40 Mio. in die Erprobung und Optimierung serieller Sanierungslösungen. „Perspektivisch wollen wir es schaffen, Gebäude in drei Monaten von Energieeffizienzklasse H auf A zu sanieren, dabei 100 % Dekarbonisierung sowie 90 % Energieeinsparung zu erreichen und dies möglichst warmmietenneutral für die Mieterinnen und Mieter umzusetzen“, beschreibt COO Dr. Volker Wiegel die Zielvorgaben. Das Grundprinzip der seriellen Sanierung sei bei allen fünf in diesem Reallabor getesteten Ansätzen gleich: Die Gebäude werden mit industriell vorgefertigten Fassaden-, Dach- und Technikmodulen in Holzrahmenbauweise auf die Energieeffizienzklasse 55 EE gedämmt bzw. auf den klimaneutralen Net-Zero-Standard gebracht. Der Fokus liege auf technischen Innovationen und Prozessoptimierungen, die das serielle Sanieren schneller, einfacher, mieterfreundlicher und kostengünstiger machten, so Wiegel.
Verankerungslösung macht gerüstfreie Montage möglich
Der Baustoffhersteller Saint-Gobain ist im Sommer 2022 mit seinem Tochterunternehmen Pre-Formance in den Markt für serielle Sanierungen eingestiegen, das Sanierungslösungen aus einer Hand zu einem attraktiven Preis anbieten soll. Die technische Besonderheit bei den von Pre-Formance sanierten LEG-Gebäuden – sechs Häuser mit insgesamt 24 Wohneinheiten – ist ein Befestigungssystem, das eine hängende Fassadenlösung ermöglicht. Das zweiteilige System besteht aus Lastankern, die das Gewicht jedes Elements individuell abtragen, und aus Windankern, die Winddruck und -sog sicher auffangen. Jede Befestigerreihe trägt nur ein Element, sodass sich die Gewichte nicht aufaddieren. Somit eignet sich die Fassadeninnovation auch für höhere Gebäude. Da sich jedes Element dreidimensional austarieren lässt, können auch hochwertigere fugenlose Fassadenkonzepte umgesetzt werden.
„Durch die neuartige Verankerungslösung konnten wir komplett auf eine Einrüstung des Gebäudes verzichten. Die Fassadenelemente werden einfach per Standkran und Hebebühne eingehängt. Das senkt die Baukosten und reduziert die Beeinträchtigung der Bewohnenden auf ein Minimum“, erklärt Pre-Formance-Geschäftsführerin Victoria Renz-Kiefel.
Eine weitere Besonderheit ist die zentrale Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, die bis dato in der Bestandssanierung als nicht machbar galt. Dieses System bietet im Vergleich zu dezentralen Lüftungssystemen mehrere Vorteile: So sind keine Durchbrüche nötig, die Wärmebrücken verursachen würden, der Wartungsaufwand reduziert sich auf nur ein Gerät, und die Geräuschbelastung ist deutlich geringer, weil mit niedrigerer Drehzahl gearbeitet werden kann.
Nach BEG förderfähige Indach-Solarmodule
Die B&O-Gruppe ist im Wohnungsbau und der Sanierung tätig und bewirtschaftet einen Bestand von rund 500 000 Wohnungen. In Mönchengladbach erprobt das Unternehmen ein neuartiges Solardach: Statt der bislang üblichen Photovoltaikanlage als Aufdach-Lösung hat B&O hier erstmals eine Indach-Variante verbaut. Die Photovoltaikmodule bilden gleichzeitig die Dachhaut und ersetzen damit die klassische Dacheindeckung. „Neben dem ästhetischen Mehrwert überzeugt die Anlage mit toller Leistung und ausgeklügelter Technik. Modulare Mikrowechselrichter sorgen für eine einfache Installation und im Ernstfall für eine schnelle Reparatur. Zudem ist sie weiterhin nach BEG förderfähig, da sie einen integralen Bestandteil des Dachmoduls darstellt“, erklärt Heinz Scheve, Geschäftsführer des Anfang dieses Jahres gegründeten Unternehmens B&O Seriell GmbH.
Die verbauten Fassadenmodule stammen aus dem neuen Werk in Frankfurt/ Oder, wo die B&O-Gruppe 25 Mio. Euro in den Aufbau einer Fassadenfertigung investiert. Die Fassadenelemente wurden inklusive Dämmung, Fenstern und Leerrohren für die Verkabelung der Gebäudetechnik vorgefertigt und alle zwei Tage per LKW auf die Baustelle transportiert. Die Produktionskapazitäten in Frankfort/Oder sollen nach und nach für die serielle Sanierung von rund 1 500 Wohnungen erweitert werden. B&O sieht das Potenzial, durch schnellere Planung, weniger Schnittstellen und kürzere Abläufe Kostensenkungen im zweistelligen Prozentbereich zu erreichen.
Integriertes TGA-Modul ersetzt Strangsanierung
Die Firma Ecoworks hat 2019 das erste serielle Sanierungsprojekt in Deutschland umgesetzt. Im Nachgang dieses Pilotprojekts in Hameln haben zahlreiche Akteure der Wohnungs- und Bauwirtschaft eigene serielle Sanierungsprojekte gestartet. Mittlerweile hat das Berliner Start-up seine Lösung in zahlreichen Folgeprojekten weiter optimiert und zählt zu den am schnellsten wachsenden Unternehmen der seriellen Sanierung. Für ihr Geschäftsmodell zur klimaneutralen Transformation großer Bestände wurde Ecoworks 2022 mit dem ZIA „PropTech of the Year Award“ und dem DENEFF „Performance Award Wohnen“ ausgezeichnet.
„Aus unseren bislang umgesetzten Projekten wissen wir, dass sich die serielle Sanierung an unterschiedlichen Stellen optimieren lässt“, betont CEO Emanuel Heisenberg. Bei der LEG in Mönchengladbach kommt u. a. ein fassadenintegriertes TGA-Modul zum Einsatz, in dem sich die Heizungs- und Warmwasserleitungen für die Wohnungen befinden. Das macht eine aufwendige Strangsanierung, die mit einer hohen Belastung für die Mieter verbunden ist, unnötig. Eine weitere Besonderheit ist ein hybrides Lüftungssystem, das die Vorteile elektrischer und mechanischer Lüftung miteinander kombiniert. Die Fassadenelemente von Ecoworks sind mit einer robusten, witterungsbeständigen Verschalung aus Faserzement verkleidet. Neuartige Designelemente werten das Fassadenbild mit Lisenen auf und kaschieren das für vorgefertigte Module typische Fugenbild.
Zentrale Gebäudeversorgung
Die Fischbach-Gruppe vereint verschiedene Gewerke unter einem Firmendach mit Schwerpunkt Modernisierung und Sanierung von Bestandsgebäuden. Für die Sanierung der LEG-Gebäude verbaut Fischbach erstmals einen sogenannten Ground-Cube: „Dabei handelt es sich um einen unterirdischen Betonkubus, in dem die gesamte Gebäudetechnik steckt – Heizungstechnik, Elektroanschluss, Trinkwasseranschluss, Telekommunikation und Internet. Die technische Versorgung der Wohnungen erfolgt über einen ,Backpacker‘-Strang in der neuen Fassade. Auf diese Weise lässt sich die Gebäudetechnik minimalinvasiv und damit mieterfreundlich erneuern“, erläutert Fred ten Bosch, Leiter Marketing und Vertrieb.
In Mönchengladbach arbeitet Fischbach außerdem mit einem Dämmverfahren, das im „Energiesprong“-Projekt der Vonovia in Bochum erstmalig in der seriellen Sanierung erprobt wurde: Insbesondere bei unebenen Flächen oder verwinkelten Grundrissen an Bestandsgebäuden können mit einer Einblasdämmung aus Holzfasern – als Alternative zu werkseitig in die Fasssadenmodule integrierte Dämmplatten – Hohlräume unabhängig von ihrer Geometrie schnell und kostengünstig vollständig ausgefüllt werden.
Joint-Venture für mehr Tempo in der Gebäudesanierung
Die LEG hat im April 2022 als Joint-Venture mit dem österreichischen Bauunternehmen Rhomberg die Firma Renowate gegründet, mit dem Ziel, das Sanierungstempo zu erhöhen und die energetische Modernisierung für alle Bestandshalter bezahlbar zu machen. Im ersten Projekt von Renowate sieht die LEG das bereits verwirklicht: Innerhalb von vier Monaten hat Renowate bereits im Mönchengladbacher Stadtteil Lürrip einen 2 500 m² großen Gebäuderiegel saniert. „Wir haben in kurzer Zeit eine steile Lernkurve hingelegt. Dauerte die Planung der ersten Fassadenelemente noch 40 Tage, waren es bei den weiteren nur noch vier. Mit diesem Renowate-Speed wollen wir auch die nächsten zwölf Projekte bis Ende des Jahres fertigstellen“, so Geschäftsführer Andreas Miltz. Für sein Konzept zur schnellen Wärmewende im Bestand wurde das Unternehmen vor Kurzem mit dem diesjährigen DW-Zukunftspreis ausgezeichnet.
In Mönchengladbach-Hardt saniert das Joint-Venture aktuell drei Mehrfamilienhäuser mit 21 Wohneinheiten. Pro Gebäude sind zwei bis drei Wochen für die Montage der vorgefertigten Fassadenmodule vorgesehen. Im Spätsommer sollen die Gebäude schlüsselfertig an die LEG übergeben werden.
Der soziale Aspekt: Warmmietenneutralität
Die Mieter Elke Baur und Günter Steinhoff fühlen sich über die Sanierungen gut informiert und davon kaum beeinträchtigt. Etwas Staub und Krach gebe es hin und wieder schon, aber das halte sich im Rahmen. „Auch wenn noch nicht alles fertig ist, hat die neue Dämmung schon jetzt einen positiven Effekt. An heißen Sommertagen heizt sich das Gebäude nicht mehr so stark auf wie früher“, berichtet Steinhoff. Dass sie nach der Sanierung nicht mehr bezahlen sollen als vorher, klingt fast zu schön. Nach Aussage der LEG wird die Durchschnittsmiete von 6,43 Euro/m² durch die Modernisierungsumlage um 2 Euro steigen, dafür sollen die Nebenkosten durch Energieeinsparungen von rund 90 % um die gleiche Summe sinken. Die Heizkosten liegen laut Angaben der Mieter aktuell bei rund 3 Euro/m². „Warten wir’s mal ab“, meint Baur, „aber wenn es wirklich so kommen sollte, freuen wir uns natürlich.“
Schlüsseltechnologie für die Wärmewende
„Die fünf seriellen Sanierungskonzepte im ,Reallabor‘ sind nur die Spitze des Eisbergs. Das Innovationspotenzial serieller Sanierungslösungen ist längst noch nicht ausgeschöpft. In den nächsten Jahren werden zahlreiche weitere zukunftsweisende Ansätze hinzukommen“, ist sich Uwe Bigalke, Teamleiter Analysen und Gebäudekonzepte der Deutschen Energie-Agentur (Dena), sicher. Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat die Dena die Marktentwicklung für serielle Sanierungslösungen in Deutschland initiiert. Heute arbeitet ein 20-köpfiges Team bei der Dena an diesem Thema.
Seit Einführung des 15-prozentigen Bonus für serielles Sanieren im Rahmen der Bundesförderung effiziente Gebäude (BEG) ist die Nachfrage nach dem Sanierungskonzept deutlich gestiegen. Mit Tilgungszuschüssen von bis zu 45 % und zinsvergünstigten KfW-Krediten, die 2 bis 3 % unter den marktüblichen Konditionen liegen, liegt das serielle Sanieren heute bei deutlich schnellerer Umsetzung in etwa auf dem Kostenniveau konventioneller energetischer Modernisierungen. Mittlerweile sieht man bei der Dena, dass die serielle Sanierung nach dreijähriger Pilotphase in Deutschland Fahrt aufnimmt: 19 Pilotprojekte wurden fertiggestellt, 15 sind im Bau, 90 weitere serielle Sanierungsvorhaben mit etwa 11 000 Wohnungen befinden sich in unterschiedlichen Planungs- und Vorbereitungsphasen.
„Ich nehme aus dem Besuch drei Dinge mit: Erstens, dass das serielle Sanieren eine Schlüsseltechnologie ist, die enormes Tempo in die Bestandssanierung bringt. Zweitens, dass die Kosten sinken, wenn es zu einem Massenmarkt wird. Und drittens, dass sich hier ein neuer wachstumsstarker Wirtschaftszweig entwickelt“, sagte Minister Habeck am Ende seines Rundgangs. Der Minister versprach eine Weiterführung der Förderung für die nächsten drei Jahre. Zudem wolle er mit Bundesbauministerin Klara Geywitz über Vereinfachungen in der Bauordnung sprechen. In diesem Fall hat die Stadt Mönchengladbach auf eine Baugenehmigung für die mehr als 30 cm dicken Fassadenelemente verzichtet. Oberbürgermeister Felix Heinrichs hatte sich dazu mit seinen Kollegen auf dem kurzen Dienstweg verständigt. Eine pragmatische Lösung, die Habeck zur Nachahmung empfahl.
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